Manchmal gar, wenn auch noch die
Nachtigallen zutraulich aus dem Garten herüberpiepen, denke ich
morgens beim Einschlafen: dieser könnte es doch sein - ich meine,
er ist ein wunderhübscher Mann, er hat abends bei der Unterhaltung
an den richtigen Stellen gelacht, es war eine zauberhafte Nacht ... und
überhaupt wäre ich vielleicht ganz glücklich, wieder
einmal mit dem selben wunderhübschen Mann, der an den richtigen
Stellen lacht, in den Winterurlaub zu fahren, mit dem ich die
Frühsommernachtigallen belauscht habe ...
Als ich mittags endlich wach werde, ist er weg, im Zimmer schwebt nur
noch ein Hauch vom frischen Duft seiner Haut und mir wird klar,
daß es ja mal so kommen mußte – wie konnte ich nur glauben,
daß mir das niemals passieren würde: daß mir ein
Phoenix wegfliegt? Auf dem Weg zum Bad erkenne ich, daß das ja
endlich eine wirkliche Aufgabe für mich ist: ich muß ihn
wiederfinden, unter 6 Milliarden Menschen muß ich IHN
wiederfinden, ihn irgendwo am Hindukusch aufspüren und ihm mein
Herz zu Füßen legen - all die Jahre einsamer Suche nur
aufrecht gehalten von Liebe, Hoffnung und der Erinnerung an den
frischen Duft seiner Haut, den ich zuletzt irgendwo in Europa, in
meinem abgestreiften bürgerlichen Leben eingeatmet hatte ...
Nach dem Zähneputzen, auf dem Weg zur Küche, werde ich
hinsichtlich der bevorstehenden lebensverändernden Suche
zeitweilig etwas unsicher: ich mag nämlich gründliches
Zähneputzen, und ich bin nicht überzeugt, daß man in
den Gebirgsdörfern am Hindukusch genügend Tuben der von mir
bevorzugten Zahnpasta bereithält: die Dimensionen des Opfers, das
zu bringen ich im Begriffe bin, beginnen sich langsam abzuzeichnen ...
da sehe ich ihn in der Küche stehen, sein strahlendes, momentan
auch ein ganz kleines bißchen schüchternes Lächeln
aufgesetzt – und Kaffee hat er auch gekocht, nicht so 'ne entsetzliche
Brühe aus der Maschine, sondern schön stark und
türkisch, ohne Zucker oder so: ganz wie ich es mag, sieh an, das
hat er sich also gemerkt, dabei hatte ich es nur beiläufig
irgendwann letzten Abend erwähnt ... steht da und lächelt mich
schüchtern an.
Selbstverständlich bekommt er einen Kuß ... und sein
Kuß nimmt mich regelrecht mit, er saugt sich an mir ins Leben. Er
wäre nicht der erste.
Übersteht er es, wird er stark sein – und traurig.
Ein Kuß also.
Man muß sich schließlich Steigerungsmöglichkeiten
offenhalten: für Kaffee 'nen Kuß, Herz zu Füßen
bei Auffinden am Hindukusch – falls er da wirklich mal hinrennt und ich mich tatsächlich
entschließe, abgesichert mit einem Rucksack voller
Zahnpastatuben, ihn dort zu suchen.
Natürlich verachte ich mein betriebswirtschaftliches Denken: von
wegen Steigerungsmöglichkeiten offenhalten und so ... aber isses
nicht so? Was, wenn er auch noch backen kann? Trotzdem weg mit der
Berechnung – zurückgelächelt und was liebes gesagt,
bißchen was lustiges erzählt. Der Geist wird langsam wach,
es wird sicherlich ein herrlicher Tag.