Neulich hab ich mich ja wegen
vergrippter Freundeskreise tatsächlich mal wieder allein durchs
Berliner Nachtleben geschlängelt, melancholisch befunden, aus dem
Schlampenalter irgendwie raus zu sein und schließlich mit einer
Art Selbsthilfegruppe mutmaßlich pädophiler kroatischer
Fußfetischisten wichtige Beweismittel gegen eine
heruntergekommene ostdeutsche Rennommierbrauerei vernichtet. Nun ja, mancherlei Verheerungen
können den fidelen Frieden eines still-zerstreuten Zauberlehrlings
zausen - die denkbar bizarresten blühen immer mir, scheint es.
Andrerseits war es so schlimm nun wieder auch nicht und in der
darauffolgenden Woche waren auch die werten Freunde und Bekannten
größtenteils genesen und folglich hungrig. Mithin konnten
wir an dem Wochenende die weihnachtlichen
Überernährungsfestspiele anhand einer schön krossen
Gänseleiche* einläuten. Ein bißchen entsetzt war ich
dabei freilich über den Gastgeber, in dem ich bis dahin einen
Mitstreiter wider die vermaledeite Adventsduselei zu kennen glaubte.
Aber WAS mußte ich in seiner Wohnung, gleich an der rechten
oberen Bücherschrankecke entdecken? Eine WEIHNACHTSKUGEL!!! Habe
ihn natürlich sofort des blanken Terrorismus geziehen! Immerhin
wäre es mir aber beinahe gelungen, eine gemeinsame Freundin, die
gerade Zwillinge ausbrütet, dazu zu überreden, mit Filzstift
ein Mondgesicht auf das Objekt des Mißfallens zu kritzeln:
Weihnachten mit menschlichem Antlitz, sozusagen ... schade, vielleicht
beim nächsten Mal. -
Übrigens bin ich in Sachen
Silvester noch immer reichlich unentschlossen - schrecklich, was?
Manchmal überlegte ich ja, nach Mexico zu düsen und dort in
irgendeiner klitzekleinen Kneipe ganz am Rande dem möglicherweise
melancholischen Wirt Gesellschaft zu leisten beim Zählen seiner
Tequila-Vorräte für die just anbrechende Epoche.
Damit müßten wir natürlich immer wieder von vorne
anfangen, weil sich solche Bestände in meiner Gegenwart zu
verändern pflegen ... vielleicht gäbe es auch noch einen
reizenden Kellner oder weiteren Gast, man kann das nicht mit
Bestimmtheit ausschließen, und kann auch sein, daß es dann
noch schöner würde. -
Nun hat man mir gesagt, da
wäre jetzt wohl kein Flug mehr zu bekommen - aber mich Monate
zuvor auf diese Variante festzulegen, hätte mir auch nicht
gepaßt.
Das also dazu.
Und nun wieder zur
Unentschlossenheit.
In Berlin leben ja neben
Scheusalen, Ekeln**&Widerwarten auch allerhand sehr sympathische,
aufgeschlossene und viel zu selten gesehene Zeitgenossen (respektive,
da sind wir gar nicht so, "-innen"). Damit kann man mich schon
motivieren. Das funktioniert mit Rostock aber auch, Nantes und Dresden
ließen ebenfalls schon fragen.
Favorit bislang war die Trotz-Variante: während ich seit
Jahrzehnten zu Silvester IMMER unterwegs war (Schottland, Frankreich,
Tunesien, Thüringen, Italien ...) könnte ich mir vorstellen,
diesmal, just da in noch jedem Spießer der Spektakeldrang
gewaltiger denn je zappelt, einen Abend mit lärmabgeneigten
Zahnärzten in einem sonst eher studentisch bewohnten hochragenden
Rostocker Plattenbau zuzubringen. Andrerseits ... kommt sogar Dresden
teilweise nach Berlin, d.h. einer der lange nicht besichtigten Freunde
von dort rückt an. Berlin macht ferner dadurch auf sich
aufmerksam, daß es im Rahmen irgendeiner Geburtstagsreihe
sämtliche Gustaf-Gründgens-Filme zeigt und ein zuweilen ulkig
frisierter BWL-Student vielleicht nicht in die Schweiz fährt.
Alles in allem schält sich also wohl doch wie ein Hühnerauge
aus löchrigem Strumpf die Nominalkapitale jener Weltgegend, der
zur Heimat mehreres fehlt, die wir aber der Einfachheit halber immerhin
so nennen wollen, als die GROSSE ALTERNATIVE heraus.
Scheint fast, als blieben nun die leisetretenden Dentisten allein in
ihrem bedrohlich schaukelnden Wolkenkratzer. Bißchen viele
Adjektive in den letzten Sätzen, was? -
*Es war einmal eine Gans, die stellte sich Weihnachten als ein
Fest der Liebe vor.
** Der Berliner ist im
allgemeinen ein Ekel, im besonderen zwei Ekel, die Berlinerin ist ein
ganzes Konglomerat von Ekeln. (Egon Erwin Kisch)