[2001]


[März]


*stapf* *stapf* *stapf* ... Oh, ein Schaukelstuhl im Kaminzimmer! *plumps* *seufz*
*kraminmanteltaschen* Ah, die Zigarillos! Bin ja eigentlich Nichtraucher, jedenfalls fast, aber ab&zu so ein würziges Teil mag ich doch ... Hm ... irgendwas fehlt ... ah ja!
*ächz* Sollte mal nachsehen, was der Weinkeller so hergibt ... *stapf* *stapf* *stapf* *seliglächel* *stapf* *plumpsinschaukelstuhl*
 '93er Chateau Bel Air, na ja, schon nicht schlecht ...

Salut liebe Internetseitenleser!

Momentan bin ich ziemlich erschöpft, weil ich grad aus Mexico von einer etwas verlängerten Dienstreise zurückgekommen bin ... aber schön war's :-) Ihr ahnt es, eine Mathematiker-Konferenz war es gewesen, die mich dorthin verschlagen hatte, und selbstverfreilich bin ich gar nicht böse drum - ich mag Mexico. ("Nice country, nice people!", wie ich mir auf die allgegenwärtige Frage nahezu aller Mexicaner zu antworten angewöhnt habe, mit denen man so ins Gespräch kommt - woraufhin sie regelmäßig glücklich strahlen und es mir nachsehen, daß ich immer noch kein Spanisch spreche ... jedenfalls nix außer den absolut lebenswichtigen Wendungen: "una cerveza por favore", "gracias", "buenos dias", "ti amo".)

Tja, was wären wir ohne Konferenz-Tourismus?
Vermutlich ebenfalls Opfer der lächerlichen Distinktion europäischer Urlauber in ballermannverdächtige Pauschaltouristen, die von den heimgesuchten Ländern allenfalls ihre jeweiligen Hotelbars kennenlernen, und superbewußte Ethnofuzzis, für die die Erfindung der Gabel den Anfang vom Ende ursprünglicher Ganzheitlichkeit markiert.
Oder was?
Alles in schönster Reinform zu besichtigen, wenn man z.B. auf dem Flughafen "Benito Juarez" in Mexico City ein paar Stunden auf seinen Flug nach Hamsterdam wartet und die letzten Peseten gerade in erfreulich belebende körpereigene Substanzen umwandelt.

Nun, zu diesen Sorten gehören wir natürlich nicht. Dank der gütigen Mutter Wissenschaft müssen wir uns nicht dem Verdacht aussetzen, nur wegzufahren, damit die Nachbarn daheim nicht sehen, WIE viel wir wirklich saufen bzw. daß wir von der griechischen Antike bis zur Aufklärung und Moderne so ziemlich alles verschlafen haben, weil man uns beim Verlassen des Neandertals nicht geweckt, aber zum Ausgleich mit allerhand esoterischen Modephilosophien vollgestopft hat. Nein, wir haben das Privileg, uns einen Grund für unseren Aufenthalt an diesem oder jenem Ende der Welt und eine Beschäftigung dortselbst nicht erst suchen oder von gierigen Reiseveranstaltern aufschwatzen lassen zu müssen. Wir werden dort, wo wir hinfahren, gebraucht und unsre Gründe sind fast automatisch wichtig. Ganz en passant können wir uns dann unbehelligt die Birne zukippen oder tatsächlich dies&das über ein Land erfahren.
Also über seine Menschen.
Was nicht funktionieren würde, wenn wir sie - als Pauschaltourist oder asketischer Wanderer - besichtigen wollten, sondern nur deswegen klappt, weil wir im Alltag auf sie zugehen; denn eine Konferenz ist Arbeit und Arbeit ist Alltag. Man begegnet einander gleich ganz anders, wenn einmal klargestellt ist, daß man nicht zum Land&Leute-Begucken hergekommen ist, was immer sowas wie ein Nashorn-Zoobesucher-Verhältnis durchschimmern läßt.
Hm. Alltag. Immerhin - dort in Mexico ereilten mich die täglichen Plagen eines ziemlich berufstätigen Mitteleuropäers nicht so mit voller Wucht, was dazu führte, daß tatsächlich Muße (und das ist eben nicht nur Zeit!) zu allerlei Überlegungen und Erquickungen blieb. ... -

Dabei ließ der Hinflug durchaus nichts gutes erwarten.
 - Beim letzten Mal war ja schon die Reise abenteuerlich, als ich im Flugzeug den einzigen Holländer traf, der nicht deutsch spricht, dafür ein sehr sympathisches Naturell und ein durchaus sehenswertes Äußeres mitbrachte. Mußte ich also Zuflucht in meinem für fachliche Artikel ganz brauchbaren, mit Konversation aber regelmäßig überforderten Englisch suchen: "Don't believe me, if I say, I love you - this means, I like your body and your smile. Don't believe me, if I say, I love you not - this means, I do and I'm afraid, you wouldn't believe me, if I say." jedenfalls war's ein lustiger Flug, besonders als wir über dem Atlantik in Turbulenzen gerieten und die AirFrance-Besatzung beschloß, alle Champagner- und Rotweinvorräte zur Beruhigung an die Gäste zu verfüttern. Mit Erfolg. -
Lustig war's diesmal nicht so, aber abenteuerlich - für mich jedenfalls. Abenteuer Gesellschaft. Abenteuer Konversation. Ein offenbar neckisch gelauntes Schicksal hatte mich zwischen lauter deutschsprachigen Mitreisenden eingekeilt und dabei mit boshafter Berechnung links neben mir den vermutlich schwatzhaftesten Opa der Welt placiert. Und das für 11.5 Stunden! Zwischenzeitlich mußte ich mich über den - sicherlich gut gemeinten - Rettungsversuch meiner rechten Nachbarin freuen, die unbedingt mit mir "Schiffe versenken" spielen wollte. Dabei wollte ich einfach nur schlafen! Das wußte aber der Greis zu verhindern, dem es nichts ausmachte, wenn ich zwischendurch die Augen schloß und dessen Gequassel ein Abgleiten in die sanfteren Sphären anmutiger Träumerei gekonnt verhinderte.

Schon deshalb hatte Mexico einen Haufen Pluspunkte bei mir, als es sich endlich unter uns einfand und so der Tortur ein Ende setzte. Ehrlich gesagt, hätte ich mich in dem Moment aber genauso über Grönland, Reddelich oder eine Flugzeugentführung gefreut.
Mexico ist natürlich besser.

Nachdem ich dann einen Taxifahrer am Flughafen damit erschreckt hatte, daß ich ungefähr wußte, wie teuer eine Fahrt ins Zentrum ist und wie teuer eben nicht, hat mich ein anderer erfreulich zielsicher in ein Hotel gebracht, das sich sogar an meine faksimilierte Reservierung erinnern konnte. Zimmer geentert, Badewanne ausprobiert - und es war immer noch früher Abend! Als wissenschaftlich denkender Mensch habe ich also eine Disco-Bar aufgesucht. Eine, die ich noch vom vorigen Mal kannte und die ich nett gefunden hatte. War noch da, war noch nett. Sowas macht mich ja normalerweise mißtrauisch, wenn alles wie geplant klappt. Meist kommt dann irgendein dickes Ende. Je später, desto dicker. Bislang - und ich bin inzwischen wieder in Europa! - hat es sich aber noch nicht blicken lassen ... wenn man vielleicht davon absieht, daß ich nach 2 Tagen Herumgestromere in der amtlich angeblich größten (und nach meiner maßgeblichen Meinung jedenfalls schönsten) Stadt der Welt und einer landschaftlich reizvollen Busfahrt dann in Morelia/Michoacan anlangte und dort bemerkte, daß ich nicht mehr wußte, wie das Hotel heißt, dem ich mein Erscheinen via Internet angekündigt hatte und in dem also mein roter Teppich ausgerollt auf mich wartete. Es stellte sich zudem heraus, daß alle Unterlagen, die hierüber hätten Auskunft geben können, launischerweise nicht mitgekommen waren, sondern es vorzogen, meinen heimatlichen Schreibtisch zu verzieren. Nun gibt es in Morelia nur einige hundert Hotels, die Aufgabe war also finiter Natur und sollte einen Topologen nicht schrecken. Hat sie aber zunächst - dennoch hab ich mein Domizil nach ca. 1.5 Stunden bezogen, und es war das bestellte! Wie das ging, verrate ich vielleicht später mal. ... -

Na ja, dann also conference-check-in, allerlei Reden über die Rolle der Bedeutung als Grundlage aller Fundamente, people-seeing, Blasmusik (wirklich!) und ein bißchen Rotwein. Daß es ein interessanter Abend wurde, lag dann daran, daß ich mich
erstmals ein bißchen persönlich mit einem der Großen Alten der Topologie  unterhalten konnte, der ein sehr sympathischer, bescheidener sowie selbstverfreilich kluger alter Herr ist. Außerdem habe ich mich schon am ersten Abend mit einem Grüppchen Touristikstudentinnen und -studenten angefreundet, die im Rahmen irgendeines Praktikums zum "conference-staff" gehörten und dafür zuständig waren, die Konferenz-Mappen unter die Leute sowie die Beiträge in die Kasse zu bringen. Die fanden es wohl ganz spannend, daß ich nicht gar so alt&bärtig daherkam wie die meisten anderen, während ich es ganz spannend fand, daß sie sich mit mir während der gesamten vier Konferenztage nicht über Mathematik unterhalten wollten, wie die meisten anderen. Überdies konnten sie nicht besser englisch als ich, dafür ein bißchen französisch.

Ja, Konferenz also. Einige wirklich bildende und einige wirklich interessante Vorträge. Meiner war gleich am ersten Vormittag angesetzt und es hat sich wiedermal gezeigt, daß die Mexicaner ein wirklich höfliches Volk sind, was offenbar auch auf durchreisende Mathematiker abfärbt, denn sie haben alle brav applaudiert.
Plötzlich war auch der Kloß im Hals weg.
Dann konnte ich mich endlich Mexico widmen ... wo ich sogar ein Internetcafé fand (glaubt nicht, daß es auf einer Mathematikerkonferenz einen Netzzugang gäbe!), so daß ich hin&wieder eine mail nach Hause schreiben, bzw. nachlesen konnte, wie sehr mich mein Verlobter schon vermißt, was man natürlich gern vernimmt. Erwähnt habe ich das Internetcafé allerdings vornehmlich deshalb, weil mir dort schon bei meinem zweiten Besuch etwas Lustiges widerfahren ist: es traf eine mail ein, die mich ausdrücklich in Morelia begrüßte und darüber hinaus erklärte, daß ich schöne Augen hätte, sowie heimliche Bewunderer! Das vernimmt man natürlich auch gern. Gleichwohl kann man sich wohl mein Erstaunen vorstellen, wenn man zusätzlich erfährt, daß diese mail auf meiner privat-adresse eintraf, die in Morelia eigentlich niemand kennen konnte! Und der Absender war sich zwar offensichtlich nicht bewußt, daß sein Name im header mit übertragen wurde, allerdings sagte mir dieser Name nun gleich überhaupt nichts! Natürlich habe ich erstmal geantwortet und dabei so getan, als ahnte ich, wer dahintersteckt ... zunächst hatte ich ja mein Touristikstudentinnengrüppchen in Verdacht, die natürlich an die Konferenzunterlagen herangekommen sein könnten, aber dort - ich habe das überprüft - lag nur meine Dienstadresse vor. Nun gut, wie das ausging, erzähle ich vielleicht auch mal später ;-)

Hm ... jetzt hab ich schon ganz schön viele Buchstaben eingetippt ... und mit einem Reisebericht noch nichtmal wirklich angefangen ... Wahrscheinlich sollte ich jetzt irgendwas Geistvolles schreiben, aber mir fällt immer nur ein, von Mexico zu schwärmen. Vielleicht sollte ich auch einfach ein bißchen ausruhen, einen Rotwein trinken, ein Zigarillo rauchen und Euch mit Schwärmereien nicht behelligen? Ja, wird wohl besser sein ... nur so viel: Mexico ist wunderschön! Es ist so viel wärmer als Deutschland. Nicht nur das Wetter, auch die Menschen - und das versteht Ihr jetzt bitte, bitte nicht als erotische Anspielung. (Es ist nämlich so, daß ich - keineswegs ungeachtet, aber trotz der wirklich vielen wirklich schönen Menschen dort um mich herum - gar keine Lust auf amouröse Abenteuer hatte, sondern meinen Verlobten vermißte. Komisch, was? Muß wohl Liebe sein ... )

Schön ist aber auch, das Funkeln im Glas zu beobachten, wenn man's hoch und ins Licht des Kaminfeuers hält ...

Ganz liebe Grüße von

Eurem zerzausten
marvinius.